Klaviermusik (CDs »Movimenti« und »Miniaturen«)

Kurt Schwaen: CD »Movimenti«. Klavierwerke aus fünf Jahrzehnten

Bekenntnisse eines bewegten Lebens

(Auszug aus dem Booklet-Text)

Das Klavier war nicht nur der Ausgangspunkt von Kurt Schwaen kompositorischem Werk. Es nimmt bis heute als Solo-, Kammermusik- und Begleitinstrument einen dominierenden Platz in seinem Schaffen ein. (...) Schon in frühester Jugend erprobte sich der fast gänzlich als Autodidakt zum Komponieren Gelangte in ausgedehnten Improvisationen am Klavier, aus denen erste, tastende Kompositionsversuche hervor gingen. Mit wachsender Beherrschung der pianistischen Technik und der Ausdrucksmittel des Instruments wuchs ihr künstlerischer Anspruch. Und schon damals galt, was der Komponist 1976 in seinem Erinnerungsbuch Stufen und Intervalle festhielt:

»Das Klavier ist das Instrument, dem ich alles anvertraue. Es sind Bekenntnisse die ich ihm übergebe, vertrauensvoll, wenige Takte oft nur, gar nicht zum Vorspielen gedacht, kleine Stücke, die ein immerwährendes Tagebuch darstellen.«

Von den frühen Versuchen der 20er Jahre ist kaum etwas erhalten. Auch von den Arbeiten der Studienjahre hat der Komponist alles vernichtet, was seiner strengen Selbstkritik nicht standhielt. Den Durchbruch brachte 1939, nach der Rückkehrt aus der Zuchthaushaft, die Begegnung mit dem Ausdruckstanz. Aus dieser Zeit stammen die Tanzbilder. (...) Mehr als bloße Begleitmusik, gewinnen sie über den Impuls des Tanzes hinaus ihr eigenes, unverwechselbares Gesicht und Gesetz: der Aufruf kraftvoll zupackend mit markanten Akzenten und rhythmischen Wechseln im Fünfvierteltakt, das Ostinato mit seinem beharrlichen Klopfrhythmus zu leidenschaftlicher Erregung gesteigert, die Beschwörung in verhaltener Eindringlichkeit, dicht gearbeitet. (...).

In den Tanzstudios wurde er mit Musik von Hindemith, Orff, Egk und anderen Zeitgenossen konfrontiert. Weill und Eisler hatten ihn schon zu Beginn der 30er Jahre gefesselt. Auch Bartók, Prokofjew und Satie interessierten ihn, und er setzte sich mit ihnen auseinander. Das wird in den Tanzbildern ebenso spürbar wie in späteren Kompositionen. Vor allem fasziniert ihn, über lange Zeit, Strawinsky. Ihm huldigt er noch 1966 espritvoll mit der aparten Bitonalität - in der rechten Hand a-moll, in der linken Fis-Dur - der Spieldose aus dem Zyklus Movimenti (Bewegungen).

Einen gänzlich anderen Charakter trägt das Intermezzo tenero aus den gleichen Sieben Sätzen für Klavier. (...) Man fühlt sich an die Klangwelt Debussys erinnert, aber es ist ein ebenso eigenwüchsiges Stück wie auch die Waldvögel aus den frühen 70er Jahren, die an Messiaen denken lassen ...(...)

Ein weiteres kennzeichnendes Moment in Schwaens Schaffen tritt uns in den Bulgarischen Rhythmen entgegen; die enge Verbundenheit zur Folklore, insbesondere der slawischen Völker, die auch in anderen Werken der verschiedensten Genres und Besetzungen Ausdruck finden.(...)

Zu dem eigenartigsten, fast möchte man sagen rätselvollsten Werken Kurt Schwaens gehört das Nocturne lugubre von 1992. Der Komponist bestreitet entschieden, es in depressiver Stimmung geschrieben zu haben. Dennoch scheint es von tiefer Trauer und Resignation erfüllt. Es ist ein Reifewerk, das in letzte Dimensionen vordringt. Schon in seinem Umfang sprengt es alle Grenzen epigrammatischer Kürze, die sich Schwaen zumeist auferlegt, und gewinnt trotz äußerster Verhaltenheit einen ungewöhnlich weiten Radius und fast atemberaubende Spannung, wenn es gelingt, die Intensionen des Komponisten so kongenial nachzuvollziehen, wie in dieser Einspielung.

Wolfgang Hanke (1994)

 


Kurt Schwaen: CD »Miniaturen«. Späte Klavierstücke

Die Werke und ihr Komponist

(Auszug aus dem Booklet-Text)

Klavierkompositionen standen bereits am Beginn von Kurt Schwaens Schaffensentwicklung, die inzwischen nahezu ein Dreivierteljahrhundert umspannt. In den letzten Jahrzehnten haben sie erneut an Zahl und Gewicht gewonnen, vor allem seitdem nach der politischen Wende von 1989/90 nur noch geringe Aussichten bestanden, wie in den vorangegangenen Jahrzehnten größer angelegte Werke für Orchester, Chöre, den Tanz oder das Musiktheater zur Aufführung zu bringen. (...)

Kurt Schwaen läßt seine Kompositionen zum großen Teil für sich sprechen. Er schätzt es wenig, ihnen wortreiche Kommentare beizugeben, wie ihm auch in seiner Musik jedwede Art von überbordender Redseligkeit suspekt ist. Oft genug geben jedoch die Titel der Stücke oder Werkzyklen mit nur einem oder wenigen Worten vielsagende Aufschlüsse. So auch das Preludio patetico, das der Komponist für Falko Steinbach schrieb und ihm widmete, nachdem er ihn 1996 persönlich kennen und als Interpreten neuer Klaviermusik hoch schätzen gelernt hatte. (...)

So knapp es nach Art des Komponisten gefaßt sein mag, so fragmentarisch die kurzgliedrig und kontrastreich aufeinander folgenden Abschnitte vielleicht beim ersten Hören erscheinen, so inhalts- und bedeutungsschwer erweist sich das Werk, wenn wir es tiefer dringend auf uns wirken lassen. Zu seinen besonderen Kennzeichen gehört, daß es die chromatische Skala voll ausschreitet. An einer Stelle konsolidiert sich sogar ein Zwölftonkomplex, jedoch ohne strenge Durchführung. (...)

Die (17) Intermezzi entstanden ein volles Vierteljahrhundert vor dem Preludio patetico und sind, streng genommen, noch längst nicht als Spät- oder gar Alterswerke anzusprechen. Kurt Schwaen hatte eben sein 62. Lebensjahr vollendet, als er sie im Verlauf weniger Wochen niederschrieb und einen neuen Schaffensaufschwung erlebte. (...) In den auf knappste Dimensionen verdichteten Miniaturen öffnen sich Welten. Ihr Komponist hat hier Persönlichstes und Intimstes in Noten und Klänge gebannt: Glücksgefühle einer neu erwachten Liebe, Sehnsüchte, Hoffnungen, aber auch Ängste. Aus dem ursprünglich abschließenden Stück, das sich fast dem Verstummen, dem Schweigen nähert, scheint geradezu Verzweiflung zu klingen. Doch sie bleibt nicht das letzte Wort. Sie wird gebrochen durch die Rückkehr zu den hoffnungsvollen Tönen des Beginns. Die Formen und stilistischen Elemente der 17 Stücke sind so vielgestaltig wie die spontan wechselnden Stimmungen und Gefühle, die sich in ihnen niedergeschlagen haben. (...)

Seine bisher jüngsten Klavierschöpfungen schrieb Kurt Schwaen im 91. und 92. Lebensjahr überraschenderweise in engstem Nebeneinander, obwohl sie sich auf denkbar unterschiedlichen Ebenen bewegen. Die zwölf Stücke des Tanzbüchleins, (...) reflektieren prägende Erlebnisse und Eindrücke aus der Jugend und den frühen Schaffensjahren. Die Slawischen Tänze entstanden im Juni und Juli 2000 unmittelbar nach der Rückkehr von einer Reise in die Vergangenheit nach Katowice und in die Beskiden, auf der mehrere Passagen eines Dokumentarfilms über sein Leben und Schaffen gedreht wurden. Auf dieser für ihn sehr bewegenden Erinnerungsfahrt begegnete er den Goralentänzen wieder, die ihn schon bei den Wanderungen der Jugendjahre gefesselt und zu einer ganzen Reihe von Kompositionen auf den Spuren von Bartók und polnischen Zeitgenossen wie Karol Szymanowski angeregt hatten. (...).

Andere Folgen des Zyklus, besonders das apart ironisierende Kabinettstück Ah, die schöne Balletteuse, wecken Reminiszenzen an Schwaens Arbeit als Pianist und Komponist in einem Berliner Studio für Ausdruckstanz während der Jahre 1939/42 nach seiner Entlassung aus dreijähriger Zuchthaushaft, zu der er wegen illegaler Arbeit gegen das NS-Regime verurteilt worden war. (...) Das Entrée steht absichtsvoll nicht, seinem Namen entsprechend, am Beginn, sondern setzt einen Ruhepunkt inmitten des Wirbels der Ost- und Westeuropa verbindenden Tänze.

Ganz anders die fünf Lyrischen Stücke, die als sinnfälliger Ausdruck der spannungsvollen Persönlichkeit ihres Komponisten auch in sich selbst überraschende Kontraste und Gefühlswandlungen zeigen. Sie übernehmen von Edvard Griegs einst viel gespielter Sammlung nur den Titel, nicht die Faktur oder gar den Stil. Zu dem Norweger Grieg wie überhaupt zur späten Romantik stand Schwaen schon während seiner frühen Jahre in Distanz, die er auch künftig kaum durchbrach. (...)

Das Nocturne lugubre, neun Jahre zuvor geschaffen, steht in enger Verwandtschaft zu den Lyrischen Stücken, die wie ein spätes Echo dieses in Schwaens Oeuvre höchst ungewöhnlichen Werkes erscheinen. Es ist in der vorliegenden Aufnahme bereits zum vierten Mal auf CD zu erleben, davon zweimal mit Falko Steinbach - zuverlässiges Indiz für den singulären Rang, den es unter Schwaens mehr als 450 Klavierkompositionen beanspruchen darf. Ungewöhnlich für den trotz aller Bedrängnisse und Konflikte seiner bewegten Vita bis dahin stets lebensbejahenden, optimistisch gesinnten Komponisten ist allein schon die Wahl des Titels, die auf Trauer und Unheilverkündendes hindeutet. Ungewöhnlich jedoch auch der weite Atem, den dieses »Nachtstück der Trauer« im Vergleich mit der zumeist epigrammatischen Kürze von Schwaens weiteren Klavierstücken gewinnt. So viele Fragen das Werk auch aufwerfen mag: Fest steht, daß es weit jenseits der Nocturnes von John Field und Chopin eine ganz neue Dimension im Schaffen seines Komponisten geöffnet hat und seine Wirkung so bald nicht verlieren wird.

Wolfgang Hanke (2001)

 

 

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